Anmerkung: Dieses Essay spoilert das Ende von »Blue Flag«.
Selten hat mich ein Titel gleichzeitig so begeistert und enttäuscht wie »Blue Flag«. Dabei wäre es so einfach gewesen, mir all die negativen Emotionen zu ersparen. Um genau zu sein ein-Kapitel-einfach. Wenn Mangaschreiben ein Marathon ist, dann befand sich »Blue Flag« schon auf der Zielgeraden – auf einer ein-Kapitel-langen Zielgeraden, auf der der Läufer stürzt. Mehrfach. Schwer.
Worum geht es in »Blue Flag«?
»Blue Flag« ist ein Romance-Drama mit sehr schönem sozialkritischem Commentary. Er erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der den Wingman für ein Mädchen spielt, das in seinen besten Freund verliebt ist. Was er zu Beginn noch nicht weiß: sein bester Freund ist schwul und liebt ihn … Und er selbst wird sich noch in das Mädchen verlieben. Der Manga beschäftigt sich viel mit Homosexualität sowie der Beziehung zwischen Mann und Frau und verknüpft diese Themen mit gesellschaftlichen Erwartungen und den daraus resultierenden Problemen der Charaktere.
Es handelt sich hierbei keineswegs um einen Girls- oder Boys-Love-Titel, das Hauptaugenmerk bleiben heteroromantische Bemühungen. Dieser Umstand hat den Titel für mich auch so interessant gemacht. Ich kenne mich im Boys-Love-Bereich nicht besonders gut aus, aber Girls-Love-Manga haben häufig die Angewohnheit, sich auf ihre Homosexualität zu »hyperfokussieren«, was dem Realismus stark schaden kann – oft haben sie aber auch gar nicht den Anspruch realistisch zu sein. Ich habe da nichts dagegen, aber Titel wie »Blue Flag« reizen mich dann doch noch einmal ein klein wenig mehr.
»Blue Flag« schafft es, Problematiken prägnant und mit Feingefühl zu thematisieren. Das kulminiert dann vor allem in zwei Szenen, die zeigen, dass Mangaka KAITO in Bestform ein absolutes Ausnahmetalent ist.
53 Kapitel lang wurde in Höchstform auf ein Ende hingearbeitet, das den Manga mit einer wunderbaren Message – bzw. sogar mehreren, aber einer expliziten »Kernmessage« – hätte abrunden können:
»Du bist in Ordnung, so wie du bist.«
Stattdessen entschied KAITO sich im Abschlusskapitel, das ganze Gerüst einzureißen und eine Bruchlandung hinzulegen.
Was ist schiefgelaufen?
Ich … Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht. Irgendwo muss in KAITO der Wunsch entstanden sein, allen Charakteren ein Happy End zu schenken … Und das wäre sogar möglich gewesen, aber nicht auf diese Art und Weise. Das letzte Kapitel steht nun als eine Art Antithese zum gesamten Manga und seiner Message.
Kapitel 53 zeigt uns als Lesern, dass Taichi Tōma so akzeptiert, wie er ist und ihn als Freund weiterhin sehr wertschätzt, ihn aber nicht liebt – er liebt Futaba. Es zeigt wunderbar, dass im Leben nicht immer alles glattläuft, dass es in Ordnung ist, so zu sein, wie man ist und wie stark eine Freundschaft sein kann. Selbst die Trennung von Taichi und Futaba passt noch wunderbar ins Konzept. Das Leben geht weiter und nicht jede Geschichte kann mit »Und wenn sie nicht gestorben sind …« enden.
Was dann im letzten Kapitel passiert, ist wie ein Schlag ins Gesicht. Masumis Ringen mit ihrer Sexualität und ihren Gefühlen für ihre beste Freundin wird einfach übersprungen. Plötzlich ist sie bisexuell – immerhin gibt es hier noch eine halbwegs plausible Theorie, dass ihr Mann FTM-Transgender ist – und was noch viel schlimmer ist: auch Taichi ist bisexuell. Er und Tōma sind ein Paar. Wozu all der Schmerz? Wozu all das Kopfzerbrechen, wenn am Ende doch alles glattgeht? Was sendet das jetzt für eine Message? Dass man sich nur genug anstrengen muss und der beste Freund ändert plötzlich seine Sexualität? Und jetzt kommt mir nicht mit »Aber da waren Hinweise über den Manga verteilt, dass Taichi Gefühle für ihn hat!«. Bullshit. Wenn er Gefühle für ihn hätte, dann wäre Kapitel 53 vollkommen anders verlaufen.
Es wirkt auf mich, als hätte KAITO ein Zeichen für LGBT setzen wollen und dabei das exakte Gegenteil erreicht. Eine mit ihrer Partnerin glückliche Masumi hätte dahingehend vollkommen ausgereicht. Das jetzige Ende wirkt wie eine Farce. Bitte versteht mich nicht falsch, von mir aus hätten Taichi und Tōma ruhig ein Paar werden können – aber nicht so. Nicht so. Es ist für mich – aus der Sicht eines Lesers – absolut unzufriedenstellend, wenn so gegen das eigene Narrativ eine Geschichte beendet wird. Ich bin enttäuscht, dass ein Titel, der über 98 % seiner Länge für mich eine 10/10 war, dieses Rating mit nur einem Kapitel auf eine 8/10 stürzen lässt. »Blue Flag« bleibt damit für mich leider eines der größten »Was hätte sein können«, seit ich Manga lese.

Verfasst von Jeebus.