Der Übersetzer Martin Gericke lokalisiert unter anderem Manga für etablierte Verlage wie Manga Cult, Carlsen Manga und Hayabusa und sticht dabei besonders mit seinen komödiantischen Übersetzungen von »Machimaho: Magical Girl by Accident« und »Peter Grill and the Philosopher’s Time« hervor, während er zeitgleich mit Titeln wie »Blue Period« Leser emotional mitreißen kann. Wir haben angefragt, ob er sich unseren Fragen stellen möchte!
Interview mit Martin Gericke
Hallo Martin, schön, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast!
Gerne. Vielen Dank für die Anfrage!
Wie bist du Übersetzer geworden? Hattest du das von Anfang an fest im Blick oder hat sich das einfach so entwickelt?
Gleich die schwierigste Frage zu Beginn. Tatsächlich, wie das Leben so spielt, ein Wink des Schicksals, würde ich sagen. Ich habe eigentlich Filmregie und Drehbuch studiert, und die letzten Jahre für Film- und Fernsehen und später in einem Kinder- und Jugendtheater gearbeitet. Leider kam es dann zu einem schweren Schicksalsschlag in der eigenen Familie, der mich dazu veranlasst hat, alle Zelte abzubrechen und zurück in die Heimat zu ziehen, um meiner Familie in dieser schwierigen Zeit beistehen zu können. Das alles hat mich die letzten Jahre sehr beschäftigt – dennoch waren das Schreiben, die Liebe zur Literatur, dem Kino und Theater, zu guten Geschichten und dem Erzählen in Bildern schon immer treue Begleiter.
Aber auch und ganz speziell die große Begeisterung für Japan und alles, was damit zu tun hat. Sei es, dass ich viele Jahre Karate gemacht und schon als kleiner Junge versucht habe, die japanischen Schriftzeichen auf Karteikärtchen zu kritzeln, oder eben später die Literatur, die Sprache und die einzigartige Kultur Japans. Irgendwann fing man an, Manga und japanische Romane zu lesen, griff zur Banzai statt dem Mathebuch, tauchte in die Kurzgeschichten Ryūnosuke Akutagawas oder die »Handtellergeschichten« Kawabatas ein, verlor sich in den »Haibun von Bashō« oder nahm stundenlange Anime-Nächte auf VHS-Kassette auf und spielte »Final Fantasy 7« bis zum Umfallen.
Aber die Literatur hat mich doch immer am meisten begeistert. Und so war diese tiefe Sehnsucht und Verbundenheit zu Japan irgendwie schon immer vorhanden. Ich würde heute sogar so weit gehen, und sagen, dass das Leben oft mehr über uns weiß, als wir, die wir versuchen, es Tag für Tag so gut es geht zu meistern. Denn so stolperte ich kurz vor meinem Wegzug aus Düsseldorf über eine Veranstaltung der Fakultät für Modernes Japan der Heinrich-Heine-Uni, und dort sprach eine Referentin über ihre Liebe zum Theater, und dass sie seit einiger Zeit Manga ins Deutsche übersetzen darf. Das hat mich damals sehr beeindruckt und blieb mir von all den Vorträgen am meisten in Erinnerung. So kam es dann, dass ich mir inmitten dieser schwierigen und düsteren Zeit, die es zu Hause zu bewältigen gab, ein Herz gefasst und mehrere Initiativbewerbungen an die Verlage verschickt habe.
Hier gilt mein ganz besonderer Dank der wunderbaren Anne Berling, die damals meine Bewerbungsunterlagen in die Finger bekam und mir die Möglichkeit einer Probeübersetzung für den Carlsen Verlag anbot. Manchmal muss man einfach auf die »Zeichen« hören und seinem Bauchgefühl vertrauen, und entweder es klappt dann, oder eben nicht, aber ich wusste, dass das etwas sein könnte, was mich ungemein erfüllen und begeistern könnte und umso dankbarer bin ich heute, dass ich diese zweite Leidenschaft mittlerweile zu meinem Beruf machen durfte. Denn das war tatsächlich ein großes Geschenk, und ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen, so viel Freude habe ich am Übersetzen. Vielleicht auch gerade, weil sich all diese Interessen und Leidenschaften nun wieder in einer Kunstform vereinen durften und wohl jemand sehr stolz und glücklich wäre, dass sich der Junge auch weiterhin seine Träume erfüllt.
Bist du lediglich an den Manga-Übersetzungen beteiligt oder arbeitest du noch in anderen Bereichen der Branche? Übersetzt du vielleicht auch andere Medien?
Momentan sind es hauptsächlich Manga-Übersetzungen. Mein großer Dank geht allerdings an die Redakteurin Alex und das Team von Manga Cult, die mir die Chance gaben, auch als Lektor für Hiroaki Samuras »Blade of the Immortal« und Kō Yonedas »Twittering Birds Never Fly« mitzuwirken, was ein einziges Fest ist! Gerade als Leser bzw. Lektor blickt man noch mal ganz anders auf die Texte und Übersetzungen und kann darüber auch wieder neue Dinge über das Übersetzen lernen.
Da ich doch noch relativ »frisch« in diesem ganzen Abenteuer bin und nach wie vor mit neugierigem Blick auf die Übersetzerinnen und Übersetzer schaue, die schon viel länger im Geschäft sind, sauge ich momentan einfach noch sehr viel auf, will noch mehr lernen und ausprobieren und das Handwerk weiter verfeinern, eben gerade, weil die Erzählstrukturen im Medium Manga, die kurze und knappe Form, noch mal völlig andere Umsetzungen im Schreiben verlangt, als es in der Belletristik zum Beispiel der Fall ist. Aber das macht für mich auch den Reiz an der ganzen Sache aus.
Ich schiele natürlich immer mit neugierigem Blick ein wenig über den Tellerrand, so übersetzt Nora Bierich beispielsweise bei Reprodukt derzeit die Manga über das Leben Shigeru Mizukis, die ich allesamt atemberaubend finde, aber auch die Bücher aus dem Cass Verlag, wo vor kurzem »Jeder geht für sich allein« von Chisako Wakatake erschien, oder auch »GO« von Kazuki Kaneshiro, dessen Verfilmung ich als Jugendlicher schon rauf- und runtergeschaut habe und der sich mit der Thematik der »Zainichi« in Japan auseinandersetzt.
Für mich sind das auch Vorbilder, große Mutmacher und Inspirationen dafür, wo die Reise als Übersetzer vielleicht eines Tages noch hingehen könnte. Aber erst mal munter weiter Manga übersetzen, denn da heißt es ja manchmal: »Ach die paar Sprechblasen, das ist doch easy!«, aber tatsächlich sind Manga definitiv nicht ohne, erfordern mitunter eine Menge Recherche und sind eine großartige Herausforderung, um das eigene Können zu schulen und zu erweitern.
Fällt dir beim Übersetzen etwas besonders schwer bzw. bist du dabei schon mal auf ein großes Hindernis gestoßen, das dir Kopfzerbrechen bereitete?
Klar. Meistens kann man sich vor Hindernissen und Kopfnüssen kaum retten. Japanisch ist einfach superfacettenreich und voller Nuancen, da lernt man definitiv nie aus und muss stets am Ball bleiben, gerade was Internetslang oder aktuelle Jugendsprache bzw. Memes betrifft, auf die ja gerne mal angespielt wird. Aber das Herumknobeln und die Suche nach kreativen Lösungen machen mir persönlich am meisten Spaß, sprich, die Herausforderung ist gleichzeitig der perfekte Antrieb fürs Übersetzen.
Und wenn man mal überhaupt nicht weiterweiß, gibt’s immer noch die Muttersprachler aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, die bei ganz kniffligen Sachen auch gerne weiterhelfen. Aber an sich spornt mich das eher an, als dass ich darüber den Kopf in den Sand stecke. Und wenn man überhaupt nicht mehr weiterkommt, muss man einfach mal was anderes machen. Eine Runde Jonglieren, durch den Wald spazieren, ’ne Folge Gintama gucken, so was eben 😉.

Titel wie »Machimaho: Magical Girl by Accident« und »Peter Grill and the Philosopher’s Time« zeigen, dass du sehr frei und kreativ lokalisieren kannst. Fliegen dir diese Ideen einfach zu oder musst du bei jedem Satz dreimal überlegen, was du schreiben willst?
Ich habe letztes Jahr bei DHL ein Luftpost-Abonnement abgeschlossen, die liefern mir immer am Monatsanfang brandaktuell die neuesten Kalauer und drei Stapel Witze nach Hause! 😊 Aber die Clowns zum Frühstück mal beiseite … Es kommt tatsächlich immer ganz auf den Ausgangstext, den Kontext und die Situationskomik der jeweiligen Szenen an. Zufliegen tun einem die Sätze eher selten, das wäre zu schön und man könnte die Füße hochlegen.
Es ist eher so, dass ich gerne mit den Texten »spiele«; Die erste Fassung ist meist noch relativ »brav« und »ordentlich«, danach speichere ich zum Spaß eine zweite Datei, die dann so kuriose Namen wie »Kayo_fetz« oder »rambazamba« bekommt, wo ich mich ungeachtet der vorherigen Version austoben kann. Aber wie gesagt, das kommt ganz auf den Stoff an, und am Ende wird es meist eine gesunde Mischung aus beiden Versionen. Ansonsten versuche ich auch immer in die Geschichten einzutauchen und, ähnlich wie beim Spielen einer Rolle oder wie beim Improtheater, in die einzelnen Figuren zu schlüpfen und auszutesten, wie diese sprechen könnten.
Nichts anderes machen die Redakteurinnen und Redakteure bei der Korrektur letztlich ja auch. Also im Grunde geht es darum, das Wesen des Ganzen, oder die Essenz, wenn man so will, zu erfassen und schreibend auszuloten. Und das ist, finde ich, auch das Schöne an dieser kreativen Arbeit, nämlich dass man immer wieder neu und anders in Geschichten und Welten eintauchen, mitfiebern und mitunter auch mit den Figuren »mitsprechen« kann und darf, als stünde man selbst mittendrin und wäre Teil der gesamten Erzählung!
Übersetzt du lieber ernstere Titel wie »Blue Period« oder sagen dir eher komödiantische Reihen wie die zuvor genannten zu?
Die Mischung macht’s. Komödiantische Stoffe bieten einem oft viel Freiraum, um kreativ und spielerisch dem Ausgangstext gerecht zu werden, aber persönlich bevorzuge ich eher die ruhigeren, lebensnahen, poetischen und tiefgründigeren Geschichten, wie eben »Sunny« oder »Blue Period«. Es ist einfach schön, wenn bei manchen Geschichten Anknüpfungspunkte zu finden sind und man die eigene Lebenserfahrung in die Übersetzung einfließen lassen kann. Gerade bei »Blue Period« tauchen ständig Dinge auf, die ich so oder so ähnlich schon mit»erlebt« habe, da ich selbst viel Kontakt mit Kunststudenten und Studentinnen der Kunstakademie in Düsseldorf hatte und nach wie vor habe.
Den Terpentingeruch kriegst du so schnell nicht mehr aus der Nase. Und auch später im Manga werden einige Museen und Orte in Japan besucht, die ich selbst bereits besichtigen durfte und wo man sich als Leser wie auch als Übersetzer dann schon freut wie ein kleines Kind, dass genau jene Panels plötzlich im Manga erscheinen, die 1:1 so wirken, als wären sie unmittelbar dem eigenen Leben entsprungen. Ich finde, das ist schon ein ganz besonderer Zauber, den speziell Manga hier versprühen. Aber wie gesagt, ich habe an beidem nach wie vor große Freude und möchte die »Erst schlagen, dann fragen«-Stories rund um Kayo Machiba, oder momentan das unfassbare Meisterwerk »Undead Unluck« (was für ein Manga!) durchaus nicht missen.

Einige Leser kritisieren deine freien Übersetzungen. Findest du das gerechtfertigt oder denkst du, dass für die entsprechenden Titel eine »einfachere« Herangehensweise schlechter oder gar problematisch wäre?
Ich glaube nicht, dass man sagen kann, das eine wäre schlechter oder gar problematischer als das andere. Es sind einfach verschiedene Herangehensweisen für immer wieder verschiedene Stoffe. Zumal natürlich auch nicht ich allein über alle Köpfe hinweg entscheide. Es spielen jedes Mal unglaublich viele Faktoren mit hinein, und selbstverständlich gibt es auch Vorgaben, in welchem Stil, in welcher Richtung, in welcher Färbung, in welcher Tonalität etwas »gewünscht« ist oder »umgesetzt« werden sollte. Dazu sind Geschmäcker nun mal grundverschieden, und es ist klar, dass jeder Übersetzer, jede Übersetzerin ein und denselben Text meist völlig anders angehen und umsetzen würde.
Aber darin liegt ja auch der Reiz des Ganzen. Ein bisschen erinnert das an die kleine Anekdote aus dem Manga »Weekly Shonen Hitman«, den ich momentan übersetze, wenn der Chefredakteur Yamashiro zu unserem Protagonisten Kenzaki sagt: »Der Autor ist das Schiff und der Redakteur sein Leuchtturm.« So navigieren auch der Übersetzer und die Übersetzerin im Fahrwasser der Autoren und schlängeln sich durch die Wellen, während die Redakteure und Redakteurinnen uns immer wieder den Weg leuchten und uns auf dieser Reise begleiten.
Schwieriger allerdings finde ich es, wenn kategorisch Annahmen gemacht werden, so und so hätte etwas zu sein, nur weil man es schon immer so gemacht hat oder schon immer so gesehen oder gelesen hat. Dadurch schränkt man sich selbst nur ein und verliert den Blick für Alternativen.
Würdest du grundsätzlich alles übersetzen oder hast du mit einigen Genres ein Problem?
Solange eine gute Geschichte erzählt wird, ist mir das Genre relativ egal. Oft fallen diese Kategorisierungen ohnehin schwer. Ich finde, die Abwechslung macht Dinge und insbesondere Geschichten erst interessant, und so dürfen Genre auch gerne mal »übergreifen« und sich vermischen, sofern es Story oder Thema eben hergeben. Was nicht heißt, dass es keine übergeordneten Genres mehr geben sollte. Aber rein auf die Arbeit der Übersetzung bezogen, finde ich es absolut fantastisch, sich mal in die Kunstwelt zu begeben, mal mit Kindern aus einem Heim herumzutoben, und ein andermal bei der lockeren Romanze eines Wrestlers, der sich in sein Fangirl verliebt, mitfiebern zu dürfen oder die Abenteuer eines Shiba-Inu zu erzählen.
Für Manga Cult habe ich vor kurzem auch mit »Twilight Outfocus« einen Boys-Love-Titel übersetzen dürfen und ich fände es eher schade, wenn ich nur aufgrund gewisser Klischees oder Vorbehalte auf all die guten Geschichten verzichten müsste, die es eben in den unterschiedlichsten Genres auch gibt. Also nein, ich denke, solange etwas erzählbar bleibt und keine platte, anspruchslose Zurschaustellung gewisser Inhalte ist, nur um Aufmerksamkeit zu generieren – gerade, wenn das Gezeigte die Geschichte oder das Thema nicht vorantreibt oder unterstützt –, solange würde ich keine Genres ausschließen wollen und bin eher für Grenzüberschreitungen und immer neue Herausforderungen.
Welcher deiner übersetzten Titel gefällt dir bislang am besten?
Natürlich alle, haha. So viele sind es ja auch noch nicht. Was mir persönlich allerdings am meisten zusagt und wofür mein Herz auch als Leser immer wieder schlägt und schlagen wird, sind die poetischeren und leiseren Töne (oder lauten, je nachdem), die bei einem Werk wie »Sunny« von Taiyō Matsumoto beispielsweise angeschlagen werden. Mit »Sunny« verbindet mich wirklich viel, und ich bin sehr dankbar, dass meine Redakteurin mir diesen Stoff damals angeboten hat – zumal ich noch ganz am Anfang stand und nie damit gerechnet hätte, gleich so einen grandiosen Titel übersetzen zu dürfen.
Dieser Manga schafft es meiner Meinung nach auf magische Art und Weise ein ganz besonderes »Gefühl« zu vermitteln, eine Stimmung oder Atmosphäre, als würde jeden Moment eine Gewitterfront aufziehen, mitten im Spätsommer, während noch irgendwo versteckt im Gras die Grillen zirpen, der Nachmittag sich allmählich dem Ende neigt und die letzten Sonnenstrahlen die Stadt rot färben. *haha* – aber Dichterschmacht beiseite. Tatsächlich ist »Sunny« für mich ein absolutes Kleinod, in diesen sechs Bänden steckt so viel Welt, so viel Weisheit, so viel Lachen, Weinen, Poesie und Leben, aber auch viel Persönliches des Autors, dass es einfach eine riesige Freude war, so etwas Großartiges übersetzen zu dürfen.
Ach ja, und es spielt in den 70er Jahren! Was für ein Jahrzehnt, da wäre ich gerne jung gewesen, ganz ohne Smartphones, dafür mit viel Herz und Augenblicken im Hier und Jetzt und geiler Mucke überall. Dazu noch der Kansai-Dialekt, den ich persönlich sehr mag, und diese leise Melancholie, die aber immer wieder anhebt zum Positiven – das, finde ich, ist die spannendste und schöpferischste Melancholie, eine, die uns zum Nachdenken anregt und uns vom »Leben« erzählt, statt einfach nur tieftraurigen Weltschmerz und Untergangsstimmung zu vermitteln.
Ich glaube, für mich sind das häufig Künstler und Künstlerinnen, die mehr als nur »Geschichten« erzählen, die eine Art »Poesie« in sich tragen, sozusagen das Pendant zum »film auteur« im Kino, also der Autorenfilme. Dieses Schöpfen aus dem großen Ganzen, das Subtile und die leisen Augenblicke, etwas, das uns anrührt und zum Klingen bringt, diese Art von »Kunst« oder sagen wir »Ausdruck des Lebens« hat mich schon immer verzaubert, weil es eben etwas zutiefst »Menschliches« und »Universales« ausdrückt. Also beispielsweise auch die Werke Jirō Taniguchis oder Yoshiharu Tsuges und den Zeichnern und Zeichnerinnen der Gekigabewegung, die mich ähnlich stark berühren, wie die Filme von Andrei Tarkowski, Bela Tarr, Kitano, Bergman, Terence Malick und wie sie alle heißen. Die Liste ist lang haha. 😊 Also, »Sunny« it is!
Gibt es einen Manga, den du unbedingt übersetzen möchtest, der aber hier noch nicht lizenziert wurde?
»Boys on the Run« von Kengo Hanazawa finde ich sehr interessant, weil einfach wild, chaotisch und ungeschminkt. Und weil ich gern und viel Basketball gespielt habe natürlich »Slam Dunk«, aber den Traum hegen wohl viele. Aber wenn es kein Manga sein muss, würde ich am liebsten das Romanfragment »Ginga Tetsudō no Yoru« (»Night on the Galactic Railroad«) und die Gedichte von Kenji Miyazawa übersetzen. Es gibt zwar eine Manga-Adaption, die bereits auf Französisch erschienen ist und eine Anime-Verfilmung mit einem irren Soundtrack von Haruomi Hosono, allerdings würde ich dem Roman klar den Vorzug geben. Es ist eine fantastische, leicht surreale, aber dennoch philosophische und poetische Reise in die Tiefen der menschlichen Seele.
Sie führt auch mitten hinein in die großen Fragen von Leben und Tod, der Religion, dem Werden und Vergehen, und man weiß beim Lesen nie so recht, ob man jetzt eine Kindergeschichte liest oder in den Wirren einer kafkaesken Vision gefangen ist. Es ist ein Stoff, der mich schon länger begeistert und den ich zumindest für das Hieronymus-Bosch-Programm des europäischen Übersetzerkollegiums schon in Teilen übersetzen durfte. Aber das ist tatsächlich ein Text, den ich eines Tages gern in Buchform irgendwo in Deutschland sehen würde.
Ein zweites Herzensprojekt ist die Biografie des japanischen Regisseurs Sion Sono, den ich sehr schätze, noch so ein Autorenfilmer, und dessen Filme mich immer wieder aufs Neue begeistern, da sie durchaus anecken, aber gerade dadurch der Gesellschaft gekonnt einen Spiegel vorhalten und dennoch voller Poesie stecken. Über ihn ist zumindest in Buchform bislang leider kaum etwas in Deutschland erschienen.
Aller guten Dinge sind drei: Ich würde tatsächlich gerne etwas rund um das Thema 3/11 übersetzen, also die Katastrophe des Reaktorunfalls in Fukushima und des Tsunami, die unzähligen Menschen das Leben kostete. Da ich einige Freunde habe, die unmittelbar davon betroffen waren und teilweise auch Japan verlassen mussten deswegen, empfinde ich diese Thematik durchaus als etwas, das ich gerne in einer »Übersetzung« vermitteln möchte, und es gibt da wirklich spannende Literatur in dieser Hinsicht. Also du merkst schon, mein Herz schlägt nicht nur für Manga, sondern für alles rund um Japan!

S oder M?
S. Ich fand Snickers schon immer besser als Mars. In Japan gehört die Frage ja mittlerweile schon zum guten Ton, und in Deutschland lachen sich meine japanischen Freunde kaputt, weil wir das hier alle so ernst nehmen, haha. Also S. Mit dem Zusatz, dass ein Fünkchen von beidem wohl nie schaden kann, um Dinge spannend zu halten.
Mit welchem Manga-Charakter würdest du gerne mal einen Nachmittag verbringen und was würdest du mit ihm zusammen unternehmen wollen?
Puh, schwierige, aber auch sehr gute Frage, Herr Redakteur! Mit Ryo Saeba und Gintoki Sakata einmal die City unsicher machen und durch die Straßen ziehen, vielleicht ’ne kleine Bootstour mit unseren besten Buddies Bato und Major Kusanagi, gleich weiter von einer Kneipe in die nächste, während wir uns alte Stories erzählen, wie wir alle damals mit den 20th Century Boys unser geniales Geheimversteck gebaut haben, Musik aus den 70ern hörten, Pornoheftchen versteckten und einen Schabernack nach dem nächsten trieben, während im Hintergrund dunkle Mächte ihre Intrigen gesponnen haben.
Mit Haruo aus »Sunny« noch ’ne Runde Pferde stehlen oder die Schweine vom Nachbarn mit Mist bewerfen, dann noch flugs einmal wie die Katzen Matsumotos durch den Louvre streifen, oder am besten gleich rennen, in Anlehnung an »Bande a parte« (»Die Außenseiterbande«) von Jean-Luc Godard, und kaum denkst du, der Abend könnte nicht mehr besser werden, purzeln Ranma als Typ und Genma als Panda zur Tür herein, wir schreien alle vor lauter Entsetzen »Pa… Panda da! Panda da!«, und entschließen uns kurzerhand noch ’nen letzten Absacker im Stadion zu trinken, bevor Akira die Welt retten muss und unser Golden Boy Kintaro Oe mal wieder sabbernd den Mädels hinterhergafft. So in etwa – Träumen darf ja noch erlaubt sein!
Hast du ein paar Tipps für Leute, die Übersetzer werden wollen?
Glaubt an euch. Lernt die Sprache, aus der ihr übersetzen wollt, sei es über ein Studium, über Reisen, Freunde und Bekannte oder bringt es euch selbst bei, nichts ist unmöglich, folgt einfach dem Slogan der bekannten Schuhmarke. Schaut euch unterschiedliche Übersetzungen an und vergleicht, auch in anderen Sprachen, wie hat sie oder er das übersetzt, wie würde ich das übersetzen (wollen). Genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, ist, die Sprache zu beherrschen, in die ihr übersetzen wollt. Das muss ja nicht immer nur Deutsch sein, gerade die französischen Übersetzungen finde ich oft sehr interessant, weil dort noch freier (je nach Stoff natürlich wieder) mit den Übersetzungen umgegangen wird, um einen Titel im jeweiligen Land unter die Leserschaft zu bringen, und gerade Frankreich ist ja nun doch auch ein begnadetes Manga- und Comicland.
Und ansonsten: Versucht es einfach. Bewerbt euch, überlegt euch wofür und womit, überlegt, was euch begeistert, fertigt vielleicht schon mal eine Probeübersetzung auf eigene Faust an, bleibt kreativ und verspielt und verliert nie den Mut. Und lest! Werner Herzog wiederholt immer wieder gerne: »Lesen. Lesen. Lesen. Lesen. Lesen. Lesen.«, und ich glaube, das gilt auch für diesen Bereich, beziehungsweise überhaupt für alles, was man schöpferisch kreativ machen möchte. Lest Bücher, Manga, alles kreuz und quer und kunterbunt, lasst euch berieseln und begeistern von Sprache, vom geschriebenen Wort, von Geschichten und Erzählungen, von Manga, Filmen, Theaterstücken, aber vor allem auch vom Leben selbst – denn am Ende summieren sich all die Erfahrungen und man kann aus alldem wieder schöpfen und sieht auf einmal, dass sich die Punkte eben doch verbinden. Und habt Spaß, ohne Spaß wird’s sehr schnell sehr müßig und man macht nur einen »Job« und hofft aufs Wochenende oder auf »irgendwann mal, wenn ich älter bin, dann … ja dann«.
Möchtest du den Lesern dieses Interviews noch etwas mit auf den Weg geben?
Klingt zwar abgedroschen, aber: Leidenschaft. Solange man voller Begeisterung bei der Sache ist und stets versucht, sich weiter zu verbessern, kann eigentlich nichts schiefgehen, beziehungsweise, alles darf schiefgehen, und man macht trotzdem weiter, weil es einfach so viel Freude bereitet und man nicht lockerlässt. Das Leben leben, sich ausprobieren, versuchen, auch auf die kleinen Zeichen und Impulse zu hören, der inneren Stimme zu vertrauen, sich nicht verbiegen zu lassen, auch wenn’s manchmal schwerfällt, den Dingen auch mit Liebe zu begegnen und sich von ihnen mitreißen lassen, um diese Begeisterung hoffentlich einmal weiterzugeben – ganz egal, was man nun macht, das gilt ja für so vieles im Leben. Und ja, bleibt vor allem gesund und macht das Beste aus der derzeitigen Situation. Man lebt eben tatsächlich nur einmal …
Vielen Dank, dass du dich unseren Fragen gestellt hast!