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    Carlsen Manga Essays Manga in Deutschland

    »Tomie« – Femme fatale zwischen Horror & Begehren

    Von Manga2You Redaktion19. Mai 2022
    © JI Inc./Asahi Shimbun Publications Inc.

    Gastbeitrag von Joshua Ben Pesch.

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    »Tomie, ich liebe dich so sehr, ich ertrage es nicht!« – Lange, schwarze Haare, ein Schönheitsfleck unter dem linken Auge und ein verführerisches Lächeln auf den Lippen – Tomie ist der Inbegriff fleischgewordener, perfekter Schönheit. Ein Blick reicht und es ist um dich geschehen. Rasendes Begehren befällt dich. Es dauert nicht lange, ehe du dich sagen hörst: »Tomie, ich liebe dich so sehr, ich ertrage es nicht«.

    Wie im Wahn hast du dein Messer schon gezückt und stichst auf sie ein – wieder und wieder und wieder. Du rammst ihr die Klinge in die Brust, in den Hals, in die Augen. Bis ihre vollkommene Schönheit nichts weiter ist als ein blutiger, amorpher Haufen Fleisch. Mit einem Lächeln auf den Lippen flüsterst du: »Lebewohl, Tomie!« und beginnst hysterisch zu kichern. Der Wahnsinn übermannt dich und es gibt kein Zurück mehr. Oder doch? Ist wirklich tot, was du eigenhändig zerlegt hast? Im Augenwinkel siehst du, wie die Fleischklumpen zucken, zappeln und zittern …

    © JI Inc./Asahi Shimbun Publications Inc.

    Junji Itōs »Tomie« und der Markt

    Junji Itō erzählt in »Tomie« mal mehr, mal weniger zusammenhängende, blutige Kurzgeschichten der titelgebenden Protagonistin Tomie Kawakami: eine junge, bildschöne Frau, die alle Männer um sich herum bezirzt und manipuliert. Früher oder später kommen diese Männer mit ihrer Obsession nicht mehr zurecht und es endet immer damit, dass Tomie auf brutalste Art und Weise getötet wird. Jedoch — zum Leidwesen der Täter — ist Tomie eine unnatürlich robuste, junge Dame: Ihr Körper ist mit der merkwürdigen Eigenschaft gesegnet, sich regenerieren zu können. Selbst abgetrennte Gliedmaßen heilen und werden schließlich zu neuen Tomies, die wiederum die Welt der Männer auf den Kopf stellen. Im Laufe der Geschichten gibt es also immer mehr Tomies und ihr Wuchern und Wüten endet unentwegt in einem Feuerwerk der Gewalt. Diese geschlossene, zyklische Formel des Storytellings funktioniert tadellos und weiß (auch international) zu begeistern, wenngleich es etwas Anlauf brauchte.

    © JI Inc./Asahi Shimbun Publications Inc.

    Der ursprünglich drei Bände umfassende Manga (1999-2000) ist eine der ersten Arbeiten des Horror-Mangakas Junji Itō und wurde zuletzt 2011 in Japan im Zuge der »Junji Itō Masterpiece Collection« mit einer Neuauflage gewürdigt. Viel später, nämlich erst im Jahre 2016, sicherte sich der US-amerikanische Verlag VIZ Media die Rechte und veröffentlichte »Tomie« in einer hochwertigen Gesamtausgabe. Jetzt, im Jahre 2022, hat auch die deutsche Leserschaft das Glück in den Genuss einer Übersetzung zu kommen, die durch Carlsen Manga in einer Deluxe Edition versammelt wurde.

    Der deutsche Release passt sich in eine Welle von Horror-Titeln ein, deren Überschwappen ich seit ca. 2020 beobachte. Erst kürzlich erschien neben einer Gesamtausgabe des Opus magnum »Uzumaki« auch eine unter dem Titel »Shiver« firmierte Kurzgeschichtensammlung. Meiner Wahrnehmung nach besteht unter den Lesern Einigkeit: Neben »Uzumaki« ist »Tomie« eines der Werke, in denen Itō sein ganzes Können zeigt. Doch woher rührt diese Begeisterung? Was macht »Tomie« zu einem Bestseller, der bei Fans und der Presse gleichermaßen Anerkennung erfährt? Ich habe die Vermutung, dass im wesentlichen zwei Dinge zu dem Erfolg beitragen, die ich im Folgenden gerne ausführen möchte.

    Die verruchte Femme fatale

    Eines der Kernmotive des Werkes ist meiner Meinung nach die Figur der Femme fatale, die Tomie zweifelsohne verkörpert. Die Femme fatale beschreibt dabei eine Frauenfigur, die besonders schön und verführerisch ist. Mit dämonischen Zügen versehen, bezirzt und manipuliert sie die Männer. Ihre erotische Anziehung ausnutzend, verwirft sie geltende, moralische Maßstäbe und führt ihr Opfer in ein grausames Unglück, wenngleich sie ihm dabei auch die Erfüllung (erotischer) Begierden ermöglicht.

    © JI Inc./Asahi Shimbun Publications Inc.

    Die Hochzeit der medialen Repräsentationen der Femme fatale findet sich in den 1940er-Jahren. Als zentrales Filmmotiv im Film noir dominiert sie die Leinwände und ermöglicht mediale Verhandlungen über die Rolle der Frau während und im Ausklang des Zweiten Weltkriegs. Mitunter wird dadurch auch das patriarchale Unbehagen mit emanzipierten Frauen aufgearbeitet, indem die Femme fatale eine Art Feindbild konstruiert, das zeigt, wie bzw. wo eine gute Frau zu sein hat: leise, hörig, moralisch und zu Hause. Der Vamp wurde eine klare Abfuhr erteilt! Doch die Femme fatale findet sich auch in vielen älteren Geschichten wieder. So zum Beispiel in biblischen oder antiken Erzählungen oder Medien des 18. und 19. Jahrhunderts. Das Motiv einer starken, unabhängigen und zuhöchst gefährlichen Frau bildet also schon lange einen festen Bestandteil innerhalb der literarischen Tradition der Frauenfigurationen und beschreibt auch punktgenau die Figur der Tomie: Sie ist verrucht, beinah dämonisch und zutiefst durchtrieben. Was sie tut, tut sie aus eigennützigen Motiven. Und wie es einer Femme fatale eigen ist, kann sie nicht anders, als Lesende in ihren Bann zu ziehen.

    Tomie verführt nicht nur die Männer in der Geschichte, sondern auch die Lesenden mit dem Manga in der Hand. Die Faszination liegt hierbei darin zu sehen, wie eine wunderschöne, junge Frau gekonnt und strategisch ihre dämonisch-manipulierende Seite zeigt. Clever hält sie die Oberhand und Kontrolle bis schließlich – und dies ist, so denke ich, dass wesentliche Momente – der Höhepunkt kommt: Tomie wird ermordet; ihre Macht ist gebrochen, der dämonische Fluch gebannt. Das Patriarchat und die Idee einer souveränen Macht über sich selbst kann sich gegen den weiblichen Eindringling zur Wehr setzen und vermeintlich die Welt wieder gerade rücken! Doch ist dem so? Kommt es wirklich zu einem »gerade rücken«, also zu einer Erneuerung männlich-kodierter Macht oder wartet dort am Ende doch ein erschreckender Abgrund? Tomie ist eben nicht nur eine Femme fatale, nein, zugleich ist sie eine Wiedergängerin und Untote, eine Unsterbliche und Ewige. Dies führt mich zum zweiten Punkt meiner Analyse.

    Genre-Mix trifft auf Handwerkskunst

    »Tomie« ist ein bunter Mix verschiedener Horror-Subgenre: Angefangen bei dem offensichtlichsten, dem Body-Horror, der sich im grotesken Wuchern der Tomie zeigt; über Splatter und Gore in den grauenvollen Morden und Auslöschen der Frau; bis zum Lovecraft’schen, kosmischen Horror durch die unerklärliche Unsterblichkeit der Schönheit. Gleichzeitig erzählt das Werk gewissermaßen eine Revision des trottenden, dummen Zombies, indem er den Untoten als schöne, kalkulierende Vamp verkörpert. Itō mischt gekonnt Subgenre zusammen, die allesamt ihre Leser zu affizieren wissen – man wird erschüttert, angeekelt und verwirrt. Die Rezeption des Werks ist damit nicht nur ein intellektuelles Unterfangen (Woher kommt Tomie und wieso überlebt sie?), sondern auch eine fundamental körperliche Erfahrung (Ist das ekelig, mir rollen sich die Fußnägel auf!), die haarklein aushandelt, wo persönliche Grenzen des physisch Ertragbaren beginnen.

    Dass Itō ein Meister seines Handwerks ist, sieht man schnell. Seine Zeichnungen sind präzise und detailreich. Kontraste werden gezielt eingesetzt und die Panels sind dynamisch arrangiert. Dazu kommt, dass er sein Storytelling gut beherrscht: An den richtigen Stellen wechselt er das Tempo der Erzählung und enthüllt nach einem gelungenen Spannungsbogen sorgfältig die Pointen des jeweiligen Plots. Schließlich weiß Itō auch, wie er das Umblättern als Eigenschaft des Mediums Buch/Comic subtil auf die Bühne bringt: Hinter jeder Seite lauert die Möglichkeit, einem weiteren, seitenfüllenden Bild unsagbaren Schreckens zu begegnen. Berechtigterweise verlassen einem hier die Worte, denn alles, was bleibt, ist das Antlitz schieren Horrors zu ertragen.

    Vor diesem Hintergrund der Synthese des exzellenten Handwerks mit dem bunten Subgenre-Mix zeigt sich, dass die Faszination mit Tomie schließlich nicht nur in der Figuration Tomies als Femme fatale zu finden ist. Nein, es ist auch die raffinierte Weise, mit der Itō es schafft, den Leser zunächst in Sicherheit zu wiegen (Der Dämon ist exorziert!), dann doch fundamental zu erschüttern (Sie überlebt – wieder und wieder und wieder) und fragend zurückzulassen (Welche Geschichte erlebt Tomie als Nächstes?).

    © JI Inc./Asahi Shimbun Publications Inc.

    Zurecht ein Klassiker

    Ich hoffe also, gezeigt zu haben, dass der Erfolg Itōs mit seinem Werk nicht von ungefähr kommt, sondern als Ergebnis guter Handwerkskunst und gutem Storytellings verstanden werden kann. Als eine weitere Iteration der Geschichte einer Femme fatale zeigt Tomie, inwieweit literarische Figurationen sich immer auch am Kanon bisheriger Erzählungen bedienen und Diskurse, etwa über die Rolle der Frau in einer patriarchalen Gesellschaft, (neu) weiterschreiben. Tomie ist eine potente Protagonistin in einem Werk, das eben deswegen mitreißend und zutiefst erschütternd ist. Ich freue mich sehr, dass Junji Itōs Werk nun auch auf dem deutschen Markt zelebriert werden kann und hoffe, dass möglichst viele Leser in den Wahnsinn Tomies finden. Nur Vorsicht, mit Anlehnung an Lovecrafts Cthulhu-Mythos ließe sich spekulierend sagen: Es ist nicht tot, was ewig liegt … Sie wird immer wiederkommen und mehr wollen.

    Zum Abschluss möchte ich noch einmal meine Frage von oben aufgreifen: Ich fragte mich, ob die Auslöschung Tomies zu einer Erneuerung männlich-kodierter Macht führe. Der Blick auf die zyklische Struktur der Erzählung und dem kontinuierlichen Wiederauferstehen der Vamp lässt mich vermuten, dass die Antwort auf diese Frage Ja und Nein ist. Schließlich gibt es kein Entkommen – die Herrschaft männlich-kodierter Macht bestellt ein Feld, dessen Ränder (vermeintlich) verschlossen sind. Insofern, als das Tomies Auslöschung fast schon als reinigendes Ritual verstanden werden kann, ist auch das Patriarchat gesichert. Dennoch: Zu einer völligen Läuterung kommt es nicht, stattdessen sucht die Femme fatale die »gerade gerückte« Welt wieder und wieder heim und zeugt von einem gewaltsamen Exzess. Die Kernkompetenz des Horrors, also das übergreifende Moment des Affekts, verleiht der Auferstehung Tomies nicht nur eine gewisse Widerständigkeit, sondern öffnet auch die Lesenden und macht eigene körperliche Grenzen erfahrbar. Inwieweit sich mit »Tomie« sogar feministische Überlegungen anstoßen lassen, steht auf einem anderen Blatt.

    © JI Inc./Asahi Shimbun Publications Inc.

    © Joshua Ben Pesch

    Joshua Ben Pesch

    Kurzvita

    Joshua ist 27 Jahre alt und sitzt aktuell an seiner Masterthesis zu den Gender & Queer Studies. Seine Schwerpunkte liegen in der neomaterialistischen und queer-feministischen Theorie. Sein Interesse an Büchern, Comics und Mangas kommt zu großen Teilen auch aus den wissenschaftlichen Bestrebungen. Doch Wissenschaft alleine ist nicht alles und eine gute Geschichte und/oder ansprechende Zeichnungen sprechen ihn einfach an. In andere Welten einzutauchen und andere Formen der Realität zu erfahren, machen für ihn einen großen Reiz aus. Trotz allem mag Joshua das Lesen an sich gar nicht mal so gerne, wodurch er immer mal wieder mit Leseflauten zu kämpfen hat.

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    Via Wikipedia (Femme fatale, Junji Itō, Tomie), The Take (YouTube)
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