»Um einen Platz in der Welt zu finden, muss man nicht suchen, sondern sich selbst einen erschaffen«: Getreu diesen Worten hat die inspirierende Künstlerin Shelly Gertan ihr Leben selbst in die Hand genommen und allen Schwierigkeiten zum Trotz ihren eigenen Platz zu bauen begonnen.
Die junge Frau hat eine Geschichte zu erzählen, die sie in einer noch immer von Männern dominierten Gesellschaft auf multimedialer Ebene weitertragen möchte und dafür sogar ihr eigenes Animationsstudio gegründet hat – das allererste in ihrem Heimatland Österreich.
Wir durften Shelly Gertan begegnen und sie zu ihrem Herzensprojekt befragen, einen kleinen Blick auf ihren interessanten Lebensweg werfen und die harte Arbeit hinter ihren hoffnungsgebenden Worten erkennen: Eine Frau mit einem Traum, mit einer Vision, die sich ihren eigenen Platz in der Welt erschafft und mit Menschlichkeit und Weitblick für diesen kämpft.
Nachfolgend präsentieren wir euch das spannende Interview. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen!

Interview mit Shelly Gertan
Manga2You: Hallo Shelly. Danke, dass du dir die Zeit für uns nimmst und dich unseren neugierigen Fragen stellst. Einige werden dich vielleicht noch nicht kennen. Magst du dich uns einmal vorstellen?
Shelly: Gerne! Hallo, ich bin Shelly Gertan, die Künstlerin von »Reyn: Angel of Freedom«; ein Webcomic und bald auch ein animierter Film. Als ich 10 war, habe ich eine Fantasy-Welt entwickelt, und später Animation in den USA studiert, um diese Welt zum Leben zu erwecken.
Danach bin ich nach Hause, nach Wien, zurückgekehrt, um mich an die Arbeit zu machen. Seitdem habe ich den Webcomic veröffentlicht, einen Trailer eigenhändig animiert, und ein Netzwerk in der Film- und Animationswelt aufgebaut.
Man kennt mich vielleicht auch noch von den animierten Musikvideos die ich z. B. für Beth Crowley (1 | 2 | 3) oder »EPIC: The Musical« auf YouTube entwickelt habe.
Seit 2020 veröffentlichst du auf Webtoon dein Supernatural-Drama »Reyn: Angel of Freedom«, das schon mehr als 900.000 Mal aufgerufen wurde. Was hat dich zu der Entscheidung bewogen, dein Projekt auf dieser Plattform einem internationalen Publikum zu präsentieren?
Anfangs schrieb ich diese Geschichte nur für mich. Es war ein Weg, meinen eigenen Problemen zu entfliehen, und sie durch eine Fantasiewelt zu lösen, indem ich den Fantasiefiguren zuschaue, wie sie sich in meinen Schuhen verhalten würden. Davon habe ich gelernt wie wichtig es ist, das Leben in die eigene Hand zu nehmen, um daraus das zu machen, was man sich wünscht.
Irgendwann habe ich mir dann gedacht, vielleicht kann diese Welt auch anderen helfen, ihr Leben zu verbessern, und habe mir Gedanken gemacht, wie ich sie erreichen kann. Es hat mit Romanen angefangen, aber in meinem Kopf war es immer animiert.
Animation ist ein Medium, das einen sehr langen Atem braucht. So lange wollte ich aber nicht darauf warten, die Geschichte zu teilen. 2021 stellte meine kleine Schwester mir die Webtoon-Plattform vor, und ich dachte mir, das wäre eine tolle Möglichkeit, sofort mit der Geschichte anzufangen, ohne sie animieren zu müssen.
Auf der Plattform haben Fans die Möglichkeit, Kommentare unter jedem Kapitel zu hinterlassen. Wie ist das für dich als Künstlerin so ganz direkt eine Reaktion auf deine Arbeit zu bekommen? Hast du auch schon negative Erfahrungen diesbezüglich gemacht?
Wöchentliche Kommentare waren ein großer Grund, weshalb ich den Webcomic anfing. So konnte ich die Geschichte testen um herauszufinden, ob meine Botschaften überhaupt bei den Lesern ankommen. Zum Beispiel war ich mir nicht sicher, ob Leser die 2. Hauptfigur, Raziel, mögen würden, weil er Reyn anfangs im Stich lässt.
Webtoon-Leser verzeihen aber relativ rasch, also war das doch nicht so ein Problem, wie ich anfangs dachte. Jeder Mensch ist anders und reagiert auch anders auf Situationen, was ein großer Bestandteil der Geschichte ist. Daher bin ich immer neugierig, was andere denken, und lerne viel von meinen Lesern.
Am lustigsten ist es die Theorien zur Fantasiewelt zu lesen, besonders weil wir noch nicht viel über sie erfahren haben. Hier ist es mir auch wichtig, alle Geheimnisse zur richtigen Zeit zu enthüllen, um die Leser nicht zu verwirren, aber auch nicht zu viel auf ein Mal zu verraten. Das ist eine schwierige Balance.
Es gab eine spezifische Folge, in der die Leser etwas verwirrt waren, weil sie ein wichtiges Trigger-Wort nicht verstanden haben, was meine Schuld war. Das konnte ich schnell in dem Dialog ausbessern, um es doch eine Spur mehr zu erklären. Beim Schreiben des Drehbuchs für den Film habe ich diese Szene nochmal näher überarbeitet, um sicherzugehen, dass diese Verwirrung nicht mehr entsteht.
Ich habe auch negative Erfahrungen gemacht, aber nicht sehr viele. Oftmals sind die Comic-Folgen nicht meine beste Arbeit, weil ich sie zwischen meinen anderen Aufgaben herausbringe. Oft sind die Folgen kürzer als ich es mir wünschen würde, oder ich habe die Zeit nicht, alle Panels wunderschön aussehen zu lassen.
Das ist etwas, womit ich mich abfinden musste, weil ich entweder mit der Zeit die habe das hochlade, was ich kann, oder gar nichts. Manchmal kommen Kommentare, die sich beschweren, die Folgen seien zu kurz, oder ich lade nicht oft genug hoch. Aber diese Kommentare sind sehr selten. Dafür bin ich meinen Lesern sehr dankbar. Sie freuen sich einfach, wenn ich es schaffe, eine neue Folge zu bringen.
Was magst du besonders an deiner Arbeit als Webtoon-Künstlerin? Wie sieht die Arbeit an einem Kapitel so aus? Wo arbeitest du am liebsten und mit welchen Materialien?
Mein Lieblingsteil sind die Farben und Hintergründe. Ich verliere mich gerne in Fantasiewelten, und will diese daher so einladend wie möglich machen. Ich zeichne alles in Clip Studio Paint, und erstelle meine Hintergründe in Maya oder Blender, mit Texturen in Substance Painter. Das ganze Dorf (Svethaim) ist in 3D gebaut, samt Straßen und Einrichtung der wichtigen Gebäude.
Wenn man aufpasst, während die Figuren von einem Ort zum nächsten gehen, kann man erkennen, dass sie immer den gleichen Weg gehen, auch wenn die Kamera ihn diesmal von einer anderen Perspektive zeigt. Es gibt keine Filler-Häuser die einfach im Hintergrund weichgezeichnet werden. Die Welt existiert und man kann sich in ihr bewegen.
Was schwierig ist, aber auch viel Spaß macht, ist das Einplanen von dem, was die Leser nicht sehen dürfen. Zum Beispiel verschwindet Reyns Bruder am Anfang der Geschichte. Ich habe aber ein Script, wo zu jeder Bewegung von Reyn, auch die Bewegung ihres Bruders aufgezeichnet ist. Manchmal kreuzen sich ihre Wege in den Schatten, aber die Leser merken es erst Monate später, wenn ich es erwähne und sie die alten Folgen wieder lesen.
Für die eigentlichen Zeichnungen beginne ich immer mit einer groben Skizze in Clip Studio. Alles auf einer Ebene lasse ich meiner Vision einfach freien Lauf. Die Dialoge kenne ich auswendig, also verwende ich momentan kein Script mehr, habe ich anfangs aber. Sobald alles gezeichnet ist und ich die Figuren vor mir sehe, nehme ich Änderungen am Dialog vor. Dann bewege ich die Panels nochmal umher, lösche manche und ersetze sie mit anderen, bis mir der Verlauf der Zeit passend erscheint.
Sobald das Grundgerüst steht, beginne ich mit den Hintergründen. Somit weiß ich genau in welcher Perspektive die Figuren dann gezeichnet werden müssen. Ich rendere die 3D-Hintergründe, manchmal zeichne ich sie auch, wenn die Szene nicht oft genug vorkommen wird, dass sich ein ganz neues 3D Set zeitlich auszahlen würde, und füge sie in die Clip Studio Datei als Bild-Objekt ein. Dann zeichne ich die Figuren darauf, räume alles in eigene Panels ein, und male sie an.
Ich liebe Atmosphäre und arbeite viel mit Licht und Schatten. Mein persönlicher Trick in 3D: ein kleiner farbiger Nebel der fast unsichtbar über allem darauf liegt. Dieselbe Farbe verwende ich dann als Licht für die Figuren.
Lichter und Schatten in 3D passe ich auch auf jede Szene an. Wenn die Figuren sich zwei Mal im selben Raum befinden, kann es durchaus sein, dass die Tageszeit oder das Wetter das Licht beeinflussen, sodass es nicht 1:1 gleich aussieht. Ich halte auch eine Aufzeichnung der Zeiten und Kalendertage, und die Lichtsetzung und das Wetter müssen diese reflektieren.

Mit einem Blick auf deine Anfänge – würdest du nochmal den gleichen Weg mit deinem Werk gehen? Was würdest du mit deiner jetzigen Erfahrung vielleicht anders machen?
Das ist schwer zu sagen. Einerseits waren die Erfahrungen notwendig, also könnte ich es nicht anders machen. Andererseits, wenn ich die Erfahrung schon hätte, würde ich an erster Stelle mit dem Hochladen warten. Wenn man mehrere Folgen auf einmal machen kann, ohne sie wöchentlich hochzuladen, kann man sich mehr Zeit für die Zeichnungen lassen, und Folgen besser vermarkten.
So habe ich kaum Zeit die Folgen zu liefern bevor ich gleich die nächste machen muss, und da leidet dann leider das Marketing. Aber mein Tipp an alle, die jetzt anfangen wollen: Fangt einfach an. Ladet die ersten Folgen hoch, erneuert sie nicht, macht einfach weiter und weiter.
Es muss nicht alles perfekt sein und man lernt am besten in dem man einfach etwas erschafft. Wenn ich zurückblicke bin ich glücklich, dass ich durchgestartet bin und trotz allen Hindernissen und Pausen immer wieder weitergemacht habe.
Obwohl du mittlerweile deinen Fokus auf die Animation legst, setzt du dennoch deinen Webtoon in unregelmäßigen Abständen fort. Wie wichtig ist dir dieses Projekt heute?
Das Projekt liegt mir sehr am Herzen. Der Animationsfilm erzählt die gleiche Geschichte wie der Webcomic, also sind sie verknüpft. Es macht mich zwar etwas traurig, dass ich den Comic nicht regelmäßig fortführen kann, aber ich tröste mich, indem ich mich daran erinnere, dass meine anderen Aufgaben auch dazu beitragen, diese Geschichte zu erzählen.
Das Vorbereiten des Films braucht sehr viel Vorlaufzeit – vom Budget-Auftreiben zu den Pitching Konferenzen, Netzwerken, Drehbuch-Editieren, Terminen mit Mitwirkenden, Co-Produzenten, Orchestern, etc. Es erfordert sehr viele Menschen und Zeit, die keiner sieht.
Daher ist es mir auch sehr wichtig den Comic weiterzuführen, weil ich damit wenigstens die Geschichte schon früher herzeigen kann. Und die Zahlen sind wichtig für die Fördergeber und Investoren.
Den Film in einem Land aufzubauen, wo noch nie ein 2D animierter Film, noch dazu für Jugendliche, gemacht worden ist, erfordert sehr viel Vertrauen von den Jurys mit dem Investmentgeld. Da hilft es natürlich zu zeigen, dass die Geschichte in einer Form getestet worden ist und eine Leserschaft hat.
Wie kamst du überhaupt zu dem Medium? Welchen Stellenwert haben Manga, Webtoons und Anime für dich und hast du eigene Lieblingswerke? Was machen diese Geschichten so besonders für dich?
Als Kind habe ich die »Winx Club«-Comics in den Zeitschriften gelesen. Auf das Medium kam ich eher durch Animation und Anime. Ein paar meiner Lieblingswerke sind »Code Geass« und »Fullmetal Alchemist«, weil man nicht vorhersehen kann, was passiert, und das Ende der Reise nicht perfekt ausgeht.
Somit kommt man zum Nachdenken, was unsere Definition von einem guten Ende ist – reicht es, das Ziel zu erreichen? Selten sieht das Ende einer Reise im Leben so aus, wie man es sich bei der Abreise vorstellt. Das schaffen beide Geschichten sehr gut darzustellen.
Du bist ein richtiges Allround-Talent und stetig für deine Träume am Kämpfen. Nachdem du deinem Herzen für ein Animationsstudium in die USA gefolgt und nach Österreich zurückgekehrt bist, hast du dort dein eigenes Studio Erlance Studios E.U gegründet. Was ist das für ein Gefühl? War dein junges Alter je ein Thema auf deinem Weg?
Danke schön! Ich bin immer noch am Kämpfen, aber ich gebe nicht auf. Auch nicht, nachdem der erste »Reyn«-Film in die Kinos kommt – weil dann gibt es ja noch einen zweiten. Und wenn der gut genug läuft, einen dritten.
Meine Reise ist voller Höhen und Tiefen. Ich stehe oft vor dem Gedanken aufzugeben, aber der Gedanke, etwas anderes zu tun, anstatt für meine Träume zu kämpfen, macht mir noch mehr Angst, als die Möglichkeit, dass ich scheitern könnte. Wir haben nur ein Leben und es endet für alle gleich, daher will ich das meiste daraus machen.
Es gab viele Momente, an denen ich dachte, ich schaffe es nicht. Ich bin mir auch sicher, solche Momente wird es in meiner Zukunft noch viele geben. Zum Beispiel habe ich mich nach meinem Studium für 150 Jobs beworben, und keinen bekommen, bis ich dann eine Woche vor dem Ablauf meines Arbeitsvisums ein Praktikum in New York landete. In wenigen Tagen bin ich plötzlich umgezogen. Es passiert vieles auf den letzten Drücker, und das ist manchmal echt nervenraubend. Aber ich glaube, dass man immer einen Weg finden kann, solange man nicht aufhört nach einem zu suchen.
Mein Alter ist oft ein Thema. Ich bin mittlerweile die jüngste (und erste Frau) im Berufsgruppenausschuss für Animation & VFX bei der Wirtschaftskammer in Wien. Oft sehen mich Leute nicht auf Augenhöhe, weil sie denken, dass ich in meinem Alter nicht so viel Erfahrung haben könnte. Eine Frau zu sein hilft in vielen Kreisen auch nicht. Dafür muss ich mich stets mehr beweisen als andere, und werde oft hinterfragt.
Das führt aber nur dazu, dass ich extrem gut vorbereitet bin. Wenn jemand fragt, wie ich vorhabe eine ganze Industrie in Österreich aufzubauen? Ich schicke ihnen gerne den 40-Seitigen Businessplan. Ob ich denke, ich könnte wirklich auf dem Niveau animieren wie internationale Firmen? Dafür habe ich in Amerika unter einem wunderbaren Disney-Trainer studiert, in New York gearbeitet und meinen Stil dann in kurzen Eigenproduktionen weiter entwickelt (»DUST: You Are Not Alone« | »TROTZDEM«).
Falls das nicht reicht, habe ich auch einen »Reyn«-Trailer in vier Monaten selber animiert. Daher kann ich auf jede dumme Frage, die einem Man,n der ein paar Jahre älter ist als ich, definitiv nicht gestellt wird, ganz einfach antworten und Beweise liefern.
Daher bin ich dafür dankbar, dass mir das Leben nichts einfach gemacht hat. Für jeden Menschen, der nicht an mich glaubt, habe ich mindestens zehn Stimmen in meinem eigenen Kopf, die ihnen zustimmen wollen. Aber mit den Beweisen kann ich auch mich selber motivieren weiterzumachen.
Es gibt aber auch viele Menschen, die mich ermutigen und mir auf meiner Reise helfen, egal wie alt oder wer ich bin. Mentoren, Mitwirkende, Kollegen, meine Leser-Community, und mehr, die an mich glauben. Es ist unmöglich alleine einen Platz am Tisch zu bekommen, das habe ich nicht alleine geschafft.
Es gab so viele Menschen, die mich unterwegs unterstützen, besonders in Momenten wo ich die Hoffnung verlor. Ich wünsche mir eine Position zu erreichen, wo ich auch für andere Türen öffnen kann, in der Hoffnung, dass sie nicht so schwer kämpfen müssen wie ich.

Du arbeitest nicht nur an deinen eigenen Animationsprojekten, Kurzfilmen und Musikvideos, sondern möchtest die Animation in Europa voranbringen, reist zu Konferenzen und Conventions und versuchst zu zeigen, dass es auch im Herzen Europas funktionieren kann. Was liebst du so sehr an der Animation? Warum hat sie es in Europa so schwer?
Ich liebe, dass in Animation nichts unabsichtlich ist. Man kann nicht in einen Wald fahren und dort einfach filmen. Jeder Baum der gezeichnet wird hat einen Grund, weshalb er dort steht und so aussieht. Somit hat Animation eine Art Lebendigkeit, die es in Realfilmen schwer geben kann.
Man kann durch die Bilder viel mehr sagen und ausdrücken. Außerdem ist es einfacher, sich in Figuren zu versetzen, wenn kein echter Schauspieler hinter ihnen steht (jedenfalls visuell). Somit leben die Figuren in uns weiter und werden zu dem, was wir gerade von ihnen brauchen.
Animation hat es in manchen europäischen Ländern schwieriger als in anderen. In Österreich funktioniert die Finanzierung anders. Es gibt keine Fernsehsender oder Streamer, die so etwas kaufen. Und selbst wenn reicht das Budget nicht für das ganze Projekt. Wir müssen über unsere eigenen Grenzen hinausschauen und Kooperationen mit anderen europäischen Studios schließen.
Aber mit jedem Studio kommt eine extra Herausforderung: Andere Pipelines, anders trainierte Künstler. 2D Animation wird in Österreich kaum für den kommerziellen Zweck beigebracht. Wichtig ist es, »On Model« zu bleiben, damit man den eigenen Strich an dem Charakterdesign anpassen kann.
Hier wird eher auf das individuelle Künstlerische gesetzt und man entfaltet sich zwar kreativ, kann aber nicht in einer Produktion mithalten. Somit ist es von beiden Seiten schwer. Es fehlen die Künstler, und es fehlt das Geld.
Schwer bedeutet aber nicht unmöglich. Vor 100 Jahren gab es nirgends eine Animationsindustrie. Das Medium wächst schnell, und gute Geschichten können zeitlos mithalten, egal wie altmodisch die Technologie ist. Wir werden natürlich nicht sofort mit den großen internationalen Studios mithalten können – aber ich vertraue darauf, dass eine gute Geschichte es weit schaffen kann.
Europa ist zwar nicht dafür aufgebaut, aber das bedeutet nicht, das man nicht selber bauen kann. Eine Industrie ist noch nie von heute auf morgen entstanden. Wenn man etwas erschaffen will, muss man bereit sein, es aufzubauen.
Als jemand, der über zwei doch recht unterschiedliche Medien mit einem Publikum kommuniziert: Worin unterscheidet sich das Erzählen in einem Webtoon zu dem in einer Animation? Was schätzt du an dem jeweiligen Medium besonders?
Was ich an Comics am meisten liebe ist, dass man »zurückblättern« kann. So wirkt der Lesefluss individueller und man kann Momente erneut durchleben, besonders bei wichtigen Stellen, damit man die Geschichte richtig versteht. Unser Gehirn fließt nicht linear wie ein Film, von einem Punkt zum nächsten, sondern konzentriert sich auf manche Momente weiter, obwohl der Moment schon vergangen ist. Bei Filmen macht man das weniger.
Außerdem sind Comics schneller zu erstellen, und das kann man auch alleine. Für einen Film brauche ich ein größeres Team über mehrere Jahre.
Was mir bei Comics aber fehlt ist das Audio. Ich denke viel mit Musik, und schreibe sie auch selber, um meinen Figuren näherzukommen. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird Musik in der Geschichte eine größere Rolle spielen, weshalb es danach mit dem Comic schwer wird. Daher lebt die Geschichte in meinem Kopf als Animationsfilm.
Unterschiede zwischen den Medien gibt es hauptsächlich im Layout. Beim Zeichnen eines Comics verändert man das Format der einzelnen Zeichnungen, um es interessanter zu gestalten. Einmal befinden wir uns in einem super langen vertikalen Panel, dann gibt es eine Zeichnung der Landschaft, die wieder horizontal ist. Diese müssen nicht rechteckig sein, Figuren können die Panels überlappen und die Panels sich gegenseitig auch.
Bei einem Animationsfilm ist jede Zeichnung gleich groß. Hier muss man mit »Kamerafahrten« innerhalb des Layouts arbeiten, um visuelles Interesse auszudrücken. Ich persönlich finde das etwas schwieriger, aber prägender. Schließlich sehen wir mit unseren Augen die Welt auch immer in demselben Layout.
Darüber hinaus ist das Storytelling etwas anders. Ich schreibe »Reyn« als Erstes als Roman, obwohl ich die Bücher noch nicht veröffentlicht habe. Hier gibt es viel Content. Konversationen sind länger, es gibt mehr Szenen.
Der Comic ist etwas abgespeckt, damit es sich nicht zu lang zieht, besonders weil das Zeichnen davon Jahre braucht und die Geschichte sich weiterbewegen muss. Der Film ist eine noch abgestecktere Version, allerdings verändert sich auch etwas. Wir sehen mehr Perspektiven. Zwischen der Story von Reyn haben wir auch kurze, kleine Einblicke von anderen Personen.
Eine Frage, die ich mir beim Herausschneiden von Szenen denke, ist: Wenn es auch kürzer funktioniert, wozu den Rest bei den anderen Medien behalten?
Zu deinem Herzensprojekt gehört noch immer deine Geschichte »Reyn: Angel of Freedom« und es ist dein Traum diese zu animieren. Inwieweit sind der Webtoon und die Animation verbunden? Wird das Filmprojekt den Webtoon adaptieren oder von der Geschichte abweichen?
Es ist die gleiche Geschichte. Der Webtoon dient für mich als Outlet, damit ich die Geschichte endlich teilen kann, bevor der Animationsfilm beginnt. Ich sitze schon seit über 10 Jahren an ihr und konnte sie nicht mehr in mir behalten und wollte die Figuren in ihrer Welt realisiert sehen.
Es wird Abweichungen zwischen den zwei Medien geben, aber es ist die gleiche Geschichte. Sie wird kompakter und effizienter, wobei ein paar neue Szenen dazukommen, während andere gekürzt werden. Diese bringe ich aber später wieder ein.
Anders als eine Comic-Serie kann ein Kinofilm sich nur auf eine Hauptfigur beziehen. Hier bleibt wenig Raum für die Geschichten der anderen Figuren, besonders im ersten Film. Die Welt ist komplex und tiefgründig, und ich wollte die Zuschauer nicht mit zu vielen Informationen überrumpeln.
Daher liegt der Fokus im Film nur auf Reyn. Im Comic haben wir etwas mehr Einblick auf die anderen. Aber in den zukünftigen Filmen wird der Fokus auf die anderen Figuren fallen, wenn ihre Zeit gekommen ist, und das Publikum die Welt besser verstehen.
Im Fokus deiner Geschichte steht ein junges Mädchen namens Reyn, deren Leben einen tragischen Verlauf nimmt und sie an ihrer eigenen Existenz zweifeln, ja verzweifeln lässt. Wie würdest du Reyns Charakter beschreiben? Was sind ihre Stärken, was macht sie so besonders?
Reyn ist anfangs naiv und ignorant, weil sie wenig von der Welt sehen durfte. Dafür ist sie aber gleichzeitig auch idealistisch – weil sie die Realität nicht kennt, hat sie ein stärkeres Bild davon, wie die Welt sein sollte. Ihre Familie hat ihr vieles verheimlicht und daher kämpfte sie auch vor der Tragödie am Anfang der Geschichte mit Selbstzweifeln.
Ihre Persönlichkeit kämpft innerlich mit sich selbst. Einerseits glaubt sie nicht an sich selber und lässt andere Menschen Macht über sie ausüben, weil sie das als Kind gewohnt war. In ihren Freundschaften ist sie sich nicht sicher, wie sie sich zu benehmen hat. Anstatt sie selbst zu sein, versucht sie sich anzupassen, um die Freundschaft zu stärken.
Andererseits ist sie intelligent, stark und mitfühlend. In ihr brennt ein gutes Verständnis über gut und böse und ein Beschützerinstinkt bezüglich ihre Freunde. Wenn es um andere geht, springt sie schnell auf, um etwas zu unternehmen.
Sie muss ihre Selbstzweifel überwinden, damit sie diese guten Seiten entfachen kann. Die Ironie ist, dass ihre eigenen Ängste das einzige sind, dass sie zurückhalten.
Genauso wie bei uns allen in der Realität.

Welche Kernaussage möchtest du deinem Publikum mit »Reyn: Angel of Freedom« näherbringen? Wie viel Shelly steckt in deinem Werk?
Habt keine Angst, ihr selbst zu sein. Besonders wenn man sich versteckt, um zu der Gesellschaft dazuzugehören, wird man sich nie als richtiger Teil von ihr fühlen. Nur wenn man diese Maske auszieht und den Mut besitzt, sich zu zeigen, wird man das eigene Spiegelbild akzeptieren können.
Und wenn andere uns sehen können, wer wir wirklich sind, können wir erst recht richtige Freundschaften knüpfen. Um einen Platz in der Welt zu finden, muss man nicht suchen, sondern sich selbst einen erschaffen.
Ich wünsche mir, dass wir alle unsere Vortäuschungen ausziehen können und uns selber lieben und akzeptieren lernen. Denn nur so kann man andere Menschen genauso lieben und akzeptieren.
Das ist meine Hoffnung, die ich durch »Reyn« vermitteln will. Vielleicht bin ich selber auch naiv und idealistisch, aber ich würde die Welt gerne zu einem freundlicheren Ort machen. Eine Comic-Folge nach der anderen.
Ein kleiner Blick voraus: Wo befindet sich Reyn derzeit auf ihrer Reise? Wie viel hast du noch zu erzählen? Steht das Ende schon fest?
Der Comic befindet sich momentan mit 90 Folgen bei ca. 75 Prozent der ersten Staffel. Wie viele genau geplant sind, ist flexibel – viele Elemente könnte ich von der Hauptgeschichte herausziehen und stattdessen in einen Spin-off geben. Es sind aber ungefähr 8 bis 12. Wir befinden uns aber noch ganz am Anfang, und haben noch nicht einmal alle Hauptfiguren kennengelernt.
Der One-Shot, den man als gedrucktes Exemplar mit 64 Seiten bei mir kaufen kann, ist ein Blick voraus in die 3. Staffel. Danach geht es erst richtig los, wir dürfen die Welt erkunden, mehr über Reyns Kräfte erfahren und zu verstehen versuchen, welche Informationen, die Reyn über ihre Kräfte zu haben denkt, wirklich wahr sind. Und inwiefern es überhaupt eine Wahrheit geben kann.
Es kommt mehr Action, Drama, Verwirrung, aber auch Freundschaft und Liebe ins Spiel.
Das Ende steht fest. Und auch wenn mich mein Editor des Filmdrehbuchs gefragt hat, ob ich am Ende der Reise das Herz dazu haben werde, es so auszuführen – Ja, das Ende steht fest. Aber so wie auch im echten Leben, ist ein Ende nur der Anfang einer anderen Reise.
Wo kann man dich in diesem Jahr treffen? Wirst du auf Messen oder Conventions unterwegs sein? Auf welchen Social-Media-Plattformen findet man dich und wie können Fans deine Arbeit unterstützen?
Ich werde einen Vortrag zu »Reyn« auf der DoKomi halten. In Wien bin ich auf der VIECC in der Artist Alley. Alle weiteren Messen werden auf Instagram bekannt gegeben. [Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde vor der Veranstaltung geführt.]
Am besten findet man mich auf Instagram, meiner Website, Webtoon und dem »Reyn«-Discord-Server. Ich freue mich immer auf Kommentare und Unterstützung auf Social Media.
Wenn ihr mir helfen wollt, mehr Zeit für »Reyn« investieren zu können, wäre ich auch über Unterstützung auf Patreon sehr dankbar, wo ihr die Folgen mindestens einen Monat im Voraus bekommen könnt, sowie die frischesten Neuigkeiten über den Film.
Es folgt demnächst ein Kickstarter zu den gedruckten »Reyn«-Comic-Büchern. Den vollfarbigen One-Shot erhaltet ihr hier, sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch.
Mein Vorhaben ist groß, daher bedeutet mir jede einzelne Unterstützung die ganze Welt. Vielen Dank euch.

Was wünschst du dir für deine Zukunft?
Ich wünsche mir, die »Reyn«-Geschichte weiterführen zu können, bis alles über ihre Welt erzählt ist. Die Zeit und Ressourcen zu haben, ein Animationsstudio in Österreich auf die Beine zu stellen, mit Chancen für andere Künstler*innen und einer wachsenden, gesunden Industrie.
Hast du zum Abschluss vielleicht noch ein paar Tipps für all die großen und kleinen Kunstschaffenden unter uns, die eigene Animations- oder Webtoonprojekte im Herzen tragen?
Hört nicht auf und gebt nicht auf. Macht Pausen, werdet langsamer um euren Atem zu finden, aber gebt nicht auf. Unsere Gesellschaft ist leider nicht dafür aufgebaut, Künstlern gutzutun. Aber die Menschheit braucht Geschichten. Nicht nur um der Realität zu entfliehen, sondern um uns zu zeigen, wie sie sein könnte, damit wir von der Fantasie lernen können.
Lasst die Welt euch nicht unterkriegen und nehmt jeden Stein in eurem Weg als Beweis, dass die Welt euch braucht. Schließlich werden Hindernisse auf der Rennstrecke aufgestellt, nicht hinter dem Publikum. Das bedeutet, ihr befindet euch auf der richtigen Strecke und irgendwann kommt das Ziel.
Ihr seid auch nie alleine. Findet Kraft in eurer Community, andere Künstler*innen, die einen ähnlichen Weg gehen, und helft einander. Man schafft nichts Großes alleine, und Hilfe findet sich oft dort, wo man sie am wenigsten erwartet.
An dem Punkt, ein herzliches Dankeschön an alle meine Freunde, die mir ab und zu den Laptop zuklappen, damit ich eine Pause mache. An meine Kollegen und Künstlerfreunde, und meine Leser*innen, die mich unterstützen. Ich habe euch alle lieb.
Möchtest du unserer Leserschaft noch etwas mit auf den Weg geben?
Vielen Dank für eure Zeit und die Möglichkeit, ein Teil meiner Geschichte zu erzählen. Falls ihr mich irgendwo in der Wildnis findet, auf einer Messe z. B., sprecht mich gerne an. Ich bin freundlich und beiße nur, wenn es Schokolade gibt. 🙂
Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!
Dieses externe Video stammt von YouTube.

»Reyn: Angel of Freedom«
(orig.: »Reyn: Angel of Freedom«)
Verborgene Identitäten, Familiengeheimnisse, Verrat. Nach dem Mord ihrer Mutter ist Reyn auf sich alleine gestellt. Sie kämpft damit ihre Flügel zu akzeptieren und sucht nach der Wahrheit in einer Welt die sie tot sehen will. Aber je mehr sie lernt, desto mehr fürchtet sie sich vor sich selbst. Ihr Bruder hat alle Antworten, aber er verschwindet in jener Nacht. Kann Reyn ihn finden bevor die Welt entdeckt wer sie wirklich ist?
von Shelly Gertan · ca. 90 Kapitel (fortlaufend)
Drama, Fantasy
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