Die preisgekrönte Graphic Novel »Vertraute Fremde« (jap.: »Haruka na Machi e«) aus der Feder von Jirō Taniguchi kehrt in den deutschen Handel zurück und lässt sich seit Ende Februar bei Carlsen Manga als Neuausgabe erstmalig in japanischer Leserichtung auf Deutsch erwerben. Für euch haben wir einen Blick in den tiefgründigen Einzelband geworfen. Unseren Eindruck schildern wir nachfolgend.
Rückkehr in die Kindheit: Ein Sommer voller Fragen
Im Kyoto der Gegenwart – der 48-jährige Hiroshi steigt nach einer Geschäftsreise in den falschen Zug und findet sich schließlich in seiner Geburtsstadt wieder, in der er seit Jahren nicht mehr war. Ihm bleiben ein paar Stunden Zeit und er beschließt, das Grab seiner Mutter zu besuchen.
Auf dem Friedhof verliert er plötzlich das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kommt, steckt er in seinem Körper als 14-Jähriger. Mit dem Wissen und den Gedanken des erwachsenen Mannes nimmt er sein Teenagerleben wieder auf. Denn genau in jenem Sommer verließ sein Vater die Familie …
Was hat seinen Vater dazu bewegt, so sang- und klanglos zu verschwinden?
Aufmachung
Die Neuausgabe von »Vertraute Fremde« erscheint bei Carlsen Manga als Softcover im Großformat 14,6 x 21 cm. Der Einzelband weist 416 Seiten auf.
Die japanischen SFX wurden beibehalten und die Übersetzungen in unmittelbarer Nähe optisch passend gesetzt. Empfohlen wird die Erzählung für Leser ab vierzehn Jahren. Für die Übersetzung aus dem Japanischen zeichnet sich Claudia Peter (»Der Fuchs und der kleine Tanuki«) aus.
>> Hier gelangt ihr zur deutschen Leseprobe
Fazit
Jirō Taniguchis »Vertraute Fremde« erschien 1998 in Japan und liegt nun bei Carlsen Manga in einer Neuausgabe vor. Erzählt wird die Geschichte des 48-jährigen Hiroshi, der sich nach einem Zwischenfall plötzlich als Teenager wiederfindet. Es ist genau jener Sommer, in dem sein Vater die Familie verließ – ohne ein Wort der Erklärung.
Die Handlung bleibt unaufgeregt, aber eindringlich. Mit ruhigem Erzähltempo zeichnet Taniguchi ein Bild von Erinnerungen, Verlust und stiller Beobachtung. Die Vergangenheit wirkt nicht verklärt, sondern greifbar und voller offener Fragen. Die Spannung entsteht dabei nicht durch Tempo, sondern durch leise, gut platzierte Momente.
Hiroshis Blick auf die Dinge verändert sich, je länger er in die Rolle seines jüngeren Ichs schlüpft. Manche Situationen erkennt er wieder, andere sieht er mit anderen Augen. Diese Perspektivwechsel sind nicht überdramatisiert, aber präzise gesetzt – und machen einen zentralen Reiz der Geschichte aus.

Die Zeichnungen sind fein gearbeitet und konzentrieren sich auf Mimik, Raum und Alltag. Viele Szenen stehen für sich, ohne Worte. Das passt zum Ton der Geschichte und unterstreicht das Nachdenkliche. Dass die Neuausgabe in japanischer Leserichtung erscheint, gibt der Lektüre zusätzlich Tiefe.
Taniguchi erzählt nicht von einer spektakulären Zeitreise, sondern von der Möglichkeit, Dinge zu verstehen, die damals verborgen blieben. Die Rückkehr in die Vergangenheit wird nicht romantisiert. Es geht eher darum, genauer hinzusehen – und vielleicht Frieden mit dem zu schließen, was nicht mehr zu ändern ist.
»Vertraute Fremde« erzählt ruhig und unaufgeregt. Die Geschichte konzentriert sich auf die Figur, ohne sich aufzudrängen. Sie lässt Raum für eigene Gedanken und bleibt auch nach dem Lesen im Kopf. Ein stiller, aber wirkungsvoller Einzelband, den man gut mehr als einmal zur Hand nehmen kann.
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